Unter Büchern

Unter Büchern

Samstag, 17. Dezember 2016

Velma Wallis: Zwei alte Frauen

Copyright: Cornelia Conrad
Hier ist der ultimative Geschenktip für alle, die noch nach etwas ganz besonderem suchen.
Als das schmale Büchlein vor 24 Jahren das erste Mal auf deutsch erschien, war ich so begeistert davon, daß ich  sofort 20 Stück gekauft  und zu Weihnachten  allen Freundinnen  geschenkt habe. Da es aber immer noch Menschen geben soll, die diese wunderbare Indianerlegende nicht kennen, setze ich ich sie als letzten Beitrag für dieses Jahres in meinen Blog.
Ein Indianerstamm in Alaska erlebt einen besonders harten Winter. Es gibt so gut wie keine Tiere mehr  zu jagen, die Elche haben sich vor der großen Kälte verzogen. Es droht der Hungertod. Da beschließt der Ältestenrat: der Stamm muß auf Nahrungssuche gehen, fort, in eine bessere Gegend, in der man den Winter  überleben kann.
Zu dem Stamm gehören auch zwei alte Frauen.  Schon lange werden sie von den Jüngeren mit Nahrung und Wasser versorgt, und wenn der Stamm in andere Gegenden weitergezogen ist, hat man ihnen ihre Lagerplätze eingerichtet.
Da die beiden  Frauen nur noch unnütze Esser sind, beschließt der Häuptling: sie sind alt und gebrechlich, bei der beschwerlichen Wanderung nur hinderlich – deshalb werden sie zurückgelassen. Das ist Stammesgesetz...

Sonntag, 27. November 2016

Elena Ferrante: Meine geniale Freundin

Copyright: Cornelia Conrad
Ich war früher auch so: gab es einen Hype um ein Buch – und stand es ewig auf der Bestsellerliste und lag es in jedem Schaufenster -, rümpfte ich die Nase und dachte mir:
Das kann ja nix sein!
Das hier ist aber was! Nämlich großartig. Süffig. Intelligent. Atmosphärisch. Und süchtig machend.
Elena Ferrante erzählt in diesem wunderbaren Buch die Geschichte von zwei Mädchen. Lila und Elena. Sie lernen sich im Neapel der 1950er Jahre als Kinder kennen und hängen wie die Kletten aneinander. Dabei sind sie sehr unterschiedlich: Elena, die Ich-Erzählerin, die die ganze Geschichte ihrer Freundschaft mit Lila in der Retrospektive erzählt, ist ein narzisstisches, ehrgeiziges Kind (nicht unbedingt sympathisch); Lila dagegen ist sehr gradlinig, oft sehr ruppig, hochintelligent – und rätselhaft.
Während Elena die weiterführende Schule besuchen darf, muß Lila ihrem Vater in seiner Schusterwerkstatt helfen. Aber sie besorgt sich einen Ausweis für die Bibliothek der Stadt (und für Vater-Mutter-Bruder  gleich mit, obwohl die nichts vom Lesen halten, aber so kann sie mehr Bücher ausleihen!) und lernt autodidaktisch alles (und leichter und schneller), was Elena in der Schule mühsam erarbeitet.

Samstag, 12. November 2016

J.L. Carr: Ein Monat auf dem Land

Das ist eine ganz entzückende, zarte kleine Geschichte, deren Leichtigkeit mich sehr verzaubert hat.
Ein junger Mann, schwer kriegstraumatisiert, kommt im Sommer des Jahres 1920 in das kleine englische Dorf Oxgodby – er hat  seinen ersten Auftrag als Restaurator: er soll dort ein übertünchtes Wandgemälde in der Kirche freilegen.
Der Pfarrer, Reverend Keach, findet das zwar unsinnig, ist ensprechend muffig und abweisend; da er aber das Testament einer reichen Frau erfüllen muß (Bedingung: Ihr bekommt mein Geld nur, wenn Ihr das verborgene Wandgemälde in der Kirche freilegen lasst!), begrüßt er den jungen Fremden widerwillig: „Mein Gesicht... neigte zu krampfartigen Zuckungen. Menschen wie Reverend Keach riefen es geradezu hervor...“
Langsam lernt der junge Mann, dessen Namen wir erst im Verlauf der Geschichte erfahren (er heißt Tom Birkin), die Dorfbewohner kennen. Allen voran die bildhübsche Alice Keach, Ehefrau des muffigen Pfarrers, die ihn in ihrer Schönheit an ein Botticelli-Gemälde erinnert: „Man stelle sich vor – der ganze Stolz der Uffizien spazierte einfach so in der Fremde herum, in – Gott stehe uns bei – Oxgodby!“  Dann gibt es noch die 14jährige Kathy Ellerbeck, Tochter des Bahnhofsvorstehers, die Tom Birkin unmerklich immer mehr ins (Dorf-)Leben zieht. Oder den nonchalanten Moon, der nach einem uralten Sarg auf dem Kirchengelände suchen soll.
Mr. Birkin wohnt, um Geld zu sparen, im Glockenturm der Kirche. Von dort hat er einen hinreißenden Blick hinunter auf die englische Sommerlandschaft. Und  schläft da oben „zum ersten Mal seit vielen Monaten  wie ein Toter... Nachts gab es dort oben auf meinem Dachboden hoch über den Wiesen und Feldern  und fern der Straße, zu weit entfernt, als dass Stimmen zu hören gewesen wären, nichts, was mich störte.“
Je mehr Mr. Birkin Stück für Stück in das Wandgemälde vordringt –und dabei immer mehr ins Staunen kommt über dieses kolossale Kunstwerk -, dabei immer wieder Besuch bekommt von der schönen Alice oder der neugierigen Kathy, kommt er, ohne es zu merken, auch wieder ins Leben zurück. Diese Allegorie gefiel mir sehr – indem die Figuren des Wandgemäldes sichtbar werden, werden es auch die Dorfbewohner. Der Schlüsselsatz der Erzählung klingt zwar etwas holprig (was sehr schade ist), trifft es aber auf den Punkt: „Doch dann wurde ich, wie es sich eben so zuträgt, in das sich vor meinen Augen verändernde Gemälde namens Oxgodby hineingezogen...“
Sein Gesichtszucken läßt nach, er stottert nicht mehr – und er gesteht sich ein, daß er sich unsterblich in die schöne Pfarrersfrau Alice  verliebt hat.
Die Erzählung von knapp 160 Seiten ist von einer leuchtenden Dichte, jedes Wort, jeder Satz hat Bedeutung und Gewicht.
Und diese Naturbeschreibungen! Wir erleben mit Mr. Birkin einen sirrend heißen August, der nie zu Ende zu gehen scheint. Und meinen, diesen Monat auf dem Land in Oxgodby mit allen Sinnen mitzuerleben.
Die kleine Erzählung erschien schon in den 1980er Jahren in England (der Autor starb 1994) und ist dieses Jahr in Deutschland erschienen. Was für ein Glück!

Copyright: Cornelia Conrad

Samstag, 1. Oktober 2016

Matthias Brandt: Raumpatrouille

Copyright: Cornelia Conrad
Ich bin Gott sei Dank den Rezensenten gefolgt, die dieses Buch hymnisch besprachen. Ich werde ja immer skeptischer, was das Hochfeuilleton angeht – aber hier: Halleluja! Dieses Buch ist einfach grandios.
Brandt erzählt Geschichten.
Und weil er ein sehr empfindsamer Mensch zu sein scheint, werden die Geschichten vor allem von einem getragen: von einer so dichten Atmosphäre, daß man meint, nicht Zuschauer in ihnen zu sein, sondern Beteiligter.
Was in diesen Geschichten Fiktion ist und was real – das ist völlig gleichgültig.
Denn diese Miniaturen stehen  für eine Zeit, die uns heute schon vorkommt wie  ein anderes Universum: die 60er Jahre.
Die  Geschichte „Kein Laut“ handelt vom Flüchtlingskind Ansgar. Ansgar wird von seinem Vater ständig striemenrot geprügelt, und weil er deshalb stottert und ängstlich und defensiv geworden ist, provoziert er seine Mitschüler geradezu, ihn zu quälen. Brandt freundet sich  heimlich mit ihm an – denn er will ja weiter zur Klasssengemeinschaft gehören! -,  und verrät  deshalb diese heimliche Freundschaft ständig; auch das nimmt der zerstörte Ansgar willenlos hin.
Oder die Geschichte „Nirgendwo sonst“: Der kleine Matthias ist eingeladen bei Holger. Da geht es aufgeräumt und familiär zu, abends wird gemeinsam bei Schnittchen „Drei mal Neun“ mit Wim Thoelke angeschaut; der riesige Fernseher prangt in der Gelsenkirchener Barockwand, der „Vatter“ trägt die beliebte Freizeitkleidung Trainingsanzug plus Unterhemd plus Cordschlappen von Romika. Die Mutter einen einteiligen  orangefarbenen Frotteeanzug.

Donnerstag, 25. August 2016

Jeannette Walls: Ein ungezähmtes Leben

Copyright: Cornelia Conrad
Noch ein Sommer-Ferien-Buch, das ich grade mit gieriger Lust verschlungen habe: „Ein ungezähmtes Leben“. Die Story lockte mich, vor allem, da mir das erste Buch der Autorin schon so gut gefallen hatte („Haus aus Glas“). Übrigens erzählte mir gestern eine junge Freundin (der ich auch von dem Buch vorgeschwärmt habe), daß sie dieses Buch im Englisch-Leistungskurs gelesen hätten...

Wenn man das Buch aufschlägt, blickt einen eine bildhübsche, selbstbewußte junge Frau an. Sie hat einen unglaublich tollen Mund, neugierige Augen und das alles wird betont durch ihren 20er-Jahre-Bob.
Ich beneide Jeannette Walls ein wenig um diese Großmutter – wer so eine Vorfahrin hat, bekommt eine großartige Mitgift.
Hier kommt nun also die Geschichte von Lily Casey Smith.
Sie ist die große Stütze ihres Vaters, der eine Ranch betreibt.
Als sie zehn Jahre alt ist, rettet sie ihren kleineren Geschwistern das Leben – vor dem nahenden Hochwasser klettert sie mit ihnen in einen Baum; und damit sie aushalten, bis das Wasser wieder abfließt, zwingt sie die beiden Kleinen, sämtliche US-Staaten aufzusagen, sämtliche Präsidenten zu nennen.
Sie reitet Pferde ein. Mit fünfzehn reitet sie durch halb Amerika, um eine Stelle als Hilfslehrerin anzutreten.

Freitag, 12. August 2016

Homer Hickam: Albert muß nach Hause

Copyright: Cornelia Conrad
Also – das ist eins von den Büchern, die man in den Ferien am Strand liest – und dabei gar nicht merkt, daß man Sonnenbrand kriegt; so sehr ist man von der Geschichte gefesselt.
Ich bin ganz aus dem Häuschen  von diesem leichtfüßig daherkommenden, temporeich erzählten, abgedrehten, skurrilen – was noch? durchaus Gedanken anregenden Roman.
Es ist keine „hohe“ Literatur, die Sprache ist nix besonderes. Aber der Plot ist so klasse, daß das überhaupt nicht ins Gewicht fällt.
Es geht um eine Menage à trois, aber von einer sehr skurrilen Art:
Homer liebt Elsie. Elsie liebt Albert, ihren Alligator. Und außerdem liebt Elsie   immer noch ihre Jugendliebe Buddy. Der ist in der jungen Ehe von Homer und Elsie omnipräsent, denn Albert, der Alligator,  war ein Hochzeitsgeschenk für Elsie.
Aber Albert wächst. Und Homer stellt seine Elsie vor die Entscheidung: Er oder ich! Elsie hasst das Kaff Coalwood, West Virginia, in dem ihr Mann Bergarbeiter ist und in dem es immer staubig und dreckig ist – und so findet sie den Plan nicht schlecht, Albert in die Freiheit zu entlassen: nicht irgendwo - sondern dort, wo er herkam: im sonnigen Florida.

Donnerstag, 28. Juli 2016

Petra Reski: Ein Land so weit

Copyright: Cornelia Conrad
„Meine Großmutter wollte nie zurück. Aber am Ende einer jeden Familienfeier wurde immer das Ostpreussenlied gesungen und danach weinten alle. Uns Kindern war das immer peinlich. Meine Grußmutter weinte, meine Tanten und Onkel weinten, auch die Angeheirateten weinten, die Ostpreussen gar nicht kannten, nur meine Cousins und ich tranken Eierlikörflip und aßen dazu Salzstangen.“
Petra Reski erzählt über ihre Kindheit und Jugend, in der es eine sehr dominierende Frau gab: ihre Großmutter. Diese Großmutter hat die Resolutheit von Irene Disches „Großmama“, sie hat die ganze Familie im Griff, ohne sie geht nichts.
Petra Reski sind die Erzählungen von „der Heijmat“ entsetzlich. Vor allem, da die ja eine virtuelle zu sein scheint. So weit fort. Trotzdem profitiert sie davon: wenn sie mit ihrer Busenfreundin Gabi, mit der sie ständig im Clinch liegt, Stadt-Land-Fluß spielt, punktet sie bei Stadt immer mit „Allenstein“ –was Gabi überhaupt nicht passt. Wo soll das denn überhaupt sein?!
Ich habe Tränen gelacht bei Reskis Beschreibung von Familienfeiern.