Unter Büchern

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Montag, 16. Februar 2015

Irène Némirovsky: Suite Francaise

Bitte habt keine Angst vor dem Thema. Bitte sagt nicht, Ihr hättet genug gelesen über die Zeit. Dieses Buch ist so grandios,  es wird Euch über "dieses" Thema hinaus, über "diese" Zeit hinaus die hohe Kunst des Erzählens zeigen.
Im ersten Teil beschreibt Nemirovsky verschiedene Familien, die in aller Eile das, was ihnen wichtig scheint, zusammenpacken, um möglichst schnell die bedrohte Stadt zu verlassen. Hier ist die christlich gesinnte Frau, die, kaum ist sie mit ihren Kindern auf der Flucht, nur noch an sich selber denkt. Dort ist der Kunsthändler, der sein Porzelklan sorgfältig verpackt, und später, als ihm der Sprit ausgeht, einem jungen Paar das kostbare Benzin stiehlt. Und dort ist der junge Priester, der mit Kindern aus einem Heim aufs Land soll, und der so beziehungsgestört ist, daß es ihm nicht gelingt, Zugang zu den Kindern zu finden.
Mit am berührendsten ist das Ehepaar, das bei einer Bank arbeitet, kleine, pflichtbewußte Menschen, die in lauter Treu und Glauben gerade die sein werden, die am meisten Pech haben.
Im zweiten Teil, der ein Jahr später spielt, befinden wir uns in einem kleinen besetzten Dorf in Frankreich. Jede Familie muß einen deutschen Soldaten aufnehmen. Die feindselige Haltung der Franzosen löst sich ganz allmählich, und der eine oder andere fängt an, "seinen" Deutschen als Mensch zu sehen.
Im Grund ist die Besatzung nur die Wand, auf die die Autorin ihre Personen wirft - mit grellen Scheinwerfern beleuchtet, werden für kurze Momente die Menschen gezeigt - und entlarvt. Dann wendet sich der Scheinwerfer anderen zu.
Das, was uns diese wunderbare, kluge Autorin hier erzählt - und vor allem: wie sie es erzählt! -, ist ein ganz großer Roman, weit fort von irgendwelchen tragischen Gefühlen. Hier sind die Menschen tragisch. In ihren hellen und dunklen Seiten.  Das Buch ist in einem klaren, kühlen Ton geschrieben und Gefühle finden erst in uns, beim Lesen, ihren Platz. Es ist ein zutiefst menschlicher Roman.  Weil er Menschen einfach zeigt, nicht vorführt.  Nemirovsky ist manchmal ironisch, manchmal wütend, und manchmal auch verhalten liebevoll im Beschreiben ihrer Personen, und man merkt ihr an, daß sie auf das Großbürgertum (aus dem sie selber stammt) nicht gut zu sprechen ist. Aber meist beschränkt sie sich aufs Beobachten, auf knappe Andeutungen, die so viel beinhalten; Hier, Leser, urteile, werte selber.

Auch die anderen Romane der Autorin wurden übrigens nach und nach aufgelegt. Denn wer von Suite francaise fasziniert ist, ist süchtig nach weiteren Büchern von Nemirovsky.

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