Unter Büchern

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Donnerstag, 16. Juli 2015

Ludovic Roubaudi: Der Hund von Balard

Copyright: Gaby Murphy
"Dieser Roman ist so schön und so traurig wie ein Lied von Edith Piaf".
Dieses Zitat aus "Le Monde", mit dem der Verlag für den Roman warb, elektrisierte mich. Ich mußte lesen. Sofort.
Das war vor etlichen Jahren. Und was selten genug ist: ich erinnere mich immer noch sehr genau an die melancholische Stimmung des Buchs, an seinen Klang und an seine Menschen.
Jetzt habe ich es noch einmal gelesen – und bin aufs Neue hingerissen. Von der Geschichte. Aber vor allem: wie diese Geschichte erzählt wird.
Eine Handvoll hartgesottener Männer, die nichts mehr zu verlieren haben, weil sie schon längst alles verloren haben, arbeiten in einem Pariser Vorort als Zeltbauer. Es ist ein Knochenjob, der Muskeln und Durchhaltevermögen braucht. Mehr nicht. Die Woche über wird malocht bis zum Umfallen, am Wochenende wird der Lohn versoffen. Nur einer hat eine kleine Wohnung, die anderen schlafen in ihrem Auto oder unter freiem Himmel. Einmal in der Woche gehen sie ins Städtische Bad, um den verkrusteten Schmutz auf dem Körper loszuwerden. Hin und wieder gibt es eine ordentliche Schlägerei, aber irgendwie hängen sie aneinander, diese unterschiedlichen Menschen in ihrem lecken Boot. Jeder der Männer hat eine Geschichte, über die er nicht redet, und es gilt als ausgemachtes Tabu, nicht danach zu fragen. Keine Vergangenheit, keine Zukunft – nur eine Gegenwart, von starken Muskeln zusammengehalten. Jeder der Männer ist irgendwann im Fallen bei Marco gelandet, dem Chef der Truppe. Der hat Grips, ist streng und gerecht, wird von allen respektiert und hält seine Jungs zusammen.
Eine Perspektive gibt es schon lange nicht mehr. Und das Leben ist so hart, daß Denken, Nachdenken ein Luxus wäre, den man sich nicht leisten kann.

Da läuft diesen harten Kerlen ein runtergekommener, halb verhungerter Köter zu.


Und plötzlich verändert sich ihr Leben: sie verlieben sich in den Hund, den sie "Weisnix" nennen, sie päppeln ihn auf, sie gehen mit ihm spazieren, sie sorgen sich um ihn. Und merken ganz schnell, daß dieser kleine munter gewordene Kerl etwas ganz besonderes ist: ein Zirkushund! Er lernt Kunststücke, ohne dressiert zu werden, er hat Spaß am Lernen und Freude daran, das Gelernte zu zeigen.
Da fangen diese stumpf gewordenen Männer an, aufzuwachen, und ein längst beerdigter Traum bekommt wieder Kontur: der Traum vom eigenen Zirkus... Ab jetzt wird für eine Zukunft geschuftet, an die keiner mehr geglaubt hatte: tagsüber wird im Zelt in Balard malocht, nachts das eigene Zirkuszelt aufgebaut. Kein Alkohol mehr, um wach zu bleiben. Die Disziplin fällt leicht, denn Marco – dessen unsagbar traurige Zirkusgeschichte er doch noch irgendwann seinen Männern und uns erzählt – schafft es, alle namhaften Artisten herbeizurufen: mit Blick auf diesen Wunderhund Weisnix, dessen Nummer das Herzstück des zukünftigen Zirkus´sein wird...

Dem Autor gelingt etwas sehr Besonderes: mit seiner Sprache leuchtet er durch die harte Alltagskruste dieser Männer in ihre Seelen hinein, ohne daß das jemals indiskret wäre. Man spürt seine Sympathie für sie und man ist dankbar, daß er uns mit ihnen bekannt macht. Roubaudi kennt das Milieu, er hat beim Zirkus gearbeitet, und das spürt man : er zeigt uns liebevoll und erbarmungslos zugleich die Seite des Zirkus´, die der Zuschauer nie sieht, die Maloche, die Armut, den Mikrokosmos der Zeltaufbauer, die im Dunkeln stehen.

Die Geschichte ist wie eine Seiltänzerin unter der Zirkuskuppel: wir wissen zwar, daß hinter dem Kunststück harte und lange Arbeit steckt – aber wir lassen uns restlos verzaubern von der Leichtigkeit dieses zarten Geschöpfs da oben. Und hoffen und bibbern, daß sie nicht abstürzt.


 

P.S. Der Schauspieler Dietmar Bär hat den Roman als Hörbuch eingelesen – seine verhaltene, leicht melancholische Stimme passt ganz hervorragend zu diesem Text. Schönes Kopfkino!

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