Unter Büchern

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Freitag, 19. Januar 2018

Maeve Brennan: Der Teppich mit den großen pinkfarbenen Rosen

Copyright: Cornelia Conrad
Der Anfang ist wie ein Standbild aus einem alten Schwarzweiß-Film: Wir sehen eine stille schöne Frau, Mrs. Bagot, die in ihrem Vorgarten Rosen  schneidet. Ein Hund liegt dösend an den Stufen zur Küchentür und beobachtet sie. Auf dem Rasen ist eine Decke ausgebreitet, darauf spielen Mrs. Bagots kleine
Töchter, Lily und Margaret.
Mrs. Bagot und ihre Familie wohnen in einem Dubliner Vorort. Das  Reihenhaus ist klein, es hat  vier Zimmer, steht in einer Sackgasse, Geschäfte (das Leben!) sind  erst auf der Hauptstraße um die Ecke.
Die Autorin läßt sich viel Zeit, den Ort der Handlung zu beschreiben. Und sie ist dabei so genau und detailliert, so atmosphärisch,  daß wir schnell ahnen: es müssen die 1950er Jahre sein.

Aber eigentlich gibt es in dem Buch keine richtige durchlaufende Handlung. Es sind acht Erzählungen, jeweils kleine Episoden aus Mrs. Bagots Leben.
In der ersten Erzählung erfahren wir, daß die Blumen, die Mrs. Bagot schneidet, für ihren Mann Martin sind. Sie will damit sein Zimmer verschönern. Denn Martin hat sich allmählich immer mehr aus dem Familienleben zurückgezogen und schläft mittlerweile in einer eigenen Kammer. Er muß ein seltsamer Mensch sein, der nur arbeitet, der keine Tiere im Haus will, der sich schnell gestört fühlt.

Mrs. Bagot, von der wir erst sehr spät den Vornamen erfahren – sie heißt Delia -, muß eine sehr einsame Frau sein. Sie kümmert sich hingebungsvoll um Kinder und Haushalt, um Hund und Katzen. Aber manchmal bringt sie keine Energie für dieses Leben auf.  Sie ist 34 Jahre jung.
Die folgenden Erzählungen schildern Mrs. Bagot  in einem leeren Haus, in dem sie nicht so recht weiß, was sie mit sich anfangen soll; denn ihre beiden Mädchen sind über die Ferien zu Verwandten gefahren. Oder in aufgeregter Erwartung eines Besuchs: der Bischof, ein alter Freund ihrer Eltern, soll zum Tee kommen. Die „gute Stube“ ist geputzt, die Kinder tragen ihren Sonntagsstaat.
Die Autorin beschreibt  Momentaufnahmen. Zusammen geben diese einzelnen Schnipsel die Geschichte einer Ehe, in der es für Liebe und Trauer keine Sprache und keine Gesten mehr gibt. Und doch müssen  die Bagots ja einmal ein Liebespaar gewesen sein...
Mit klarem, kühlem, fast beiläufigem Blick sehen wir durch einen Schleier der Melancholie: zwei einsame Menschen, die in ihrer Sprachlosigkeit gefangen sind.
In der letzten, der achten, Erzählung begreifen wir die ersten sieben – und vor allem Martin und sein Verhalten. Das ist so raffiniert gemacht, daß man sofort wieder von vorn anfangen muß, um – mit besserem Wissen  – die Erzählungen noch einmal zu lesen.
Es ist ein leises Buch in Grautönen, in dem nur der Teppich mit den pinkfarbenen Rosen leuchtet. Mrs. Bagot liebt Rosen,  ihr ganzer Garten ist voll davon. Und manchmal lädt der Teppich mit den Rosen Mrs. Bagot dazu ein, auf ihm zu träumen oder davonzufliegen.



Maeve Brennan erlebt seit Jahren eine Renaissance. Ihre hochgelobten Geschichten erschienen in den 1960er Jahren in New York, In den 90ern starb die Autorin dort, mittellos, vereinsamt und vergessen.
Aber ihre Geschichten, die bleiben! Denn wer dieses Buch gelesen hat, wird die Atmosphäre, die meisterhaft beschriebene, nicht  vergessen. Und noch oft an Mrs. Delia Bagot denken. Sie bleibt einem viel eher im Gedächtnis als eine Figur aus einem dicken Roman.

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