Unter Büchern

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Donnerstag, 30. April 2015

Julie Otsuka: Wovon wir träumten

copyright: Cornelia Conrad
Ich bin überwältigt von diesem Buch. Es klingt. Es klingt wie ein a-capella-Chor.
Sie reisen mit großen Hoffnungen auf ein bessers Leben nach Amerika: junge Japanerinnen, die von ihren Müttern zuhause gefragt worden waren: "Möchtest du den Rest deines Lebens gebückt auf einem Feld verbringen?"
Sie ließen sich anwerben, Anfang des 20. Jahrhunderts, als Ehefrauen für japanische Männer, die schon in Amerika lebten.
In ihren Koffern haben sie "alles, was wir für unser neues Leben brauchten: weiße Seidenkomonos für die Hochzeitsnacht, bunte Baumwollkimonos für jeden Tag, Kalligraphiepinsel, geblümte Seidenschärpen..."
In ihren Köpfen haben sie die Ermahnungen ihrer Mütter: "Halte deine Teetasse mit beiden Händen, bleib aus der Sonne, sprich nie mehr, als du mußt".
Und in ihren Herzen haben sie große Hoffnungen: auf ein schönes Haus. Auf einen Garten voller Tulpen. Darauf, nie mehr auf einem Reisfeld arbeiten zu müssen.
Alles, alles vergeblich.


Denn als das Schiff in Amerika ankommt, stehen nicht die attraktiven jungen Männer am Pier, von denen die Mädchen geträumt haben.
Am Pier stehen Männer mit Wollmützen und schäbigen schwarzen Mänteln, die keinerlei Ähnlichkeit haben mit den Männern auf den Photographien.
Es klagt ein großer Chor in moll über die erste Nacht der jungen Frauen in den Armen ihrer Männer: von Gewalt, Liebe, Schüchternheit, Brutalität, aber auch von Zärtlichkeit und Rücksichtnahme. Und am Morgen, als sie aufwachen, gehören sie ihnen.
Sie landen, wenn sie Glück haben, an den Stadträndern. Die, die weniger Glück haben - und das sind die meisten –, beackern fremdes Land. Pflücken Erdbeeren. buddeln Kartoffeln aus der Erde.
Julie Otsuka hat ein großartiges Buch geschrieben, ihre Sprache ist in ihrer Knappheit voller melancholischer Poesie. Es würde mich nicht wundern, wenn sie eine Meistern im Haiku-Schreiben wäre – diese Kunst, mit ganz wenigen (richtig gesetzten!) Worten so unendlich viel zu sagen. Und ihre Idee, ihre Erzählerin "Wir"sagen zu lassen, in dieses "wir" die vielen unterschiedlichen, lakonisch angedeuteten Schicksale ihrer Schwestern mit hineinzuweben, ist grandios:
"Unser Zuhause war ein Feldbett"; "unser Zuhause war ein Bett in einer Scheune"; "Zuhause war ein Hühnerstall".
Keine der jungen Frauen hat einen Namen, keine wird hervorgehoben – und dennoch: jede der Stimmen in dem "Wir" klingt anders. So daß wir (!) beim Lesen die unterschiedlichen Persönlichkeiten kennenlernen: traurige, resignierte, angepasste, aber auch liebevolle. Alle diese jungen Frauen gestalten im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihr Leben, tapfer und duldsam, in Hingabe, Ergebenheit, Demut. Klaglos.
"Wir besaßen alle Vorzüge der Chinesen – wir arbeiteten hart, wir waren geduldig, wir waren stets höflich". Dank ihrer Tugenden schaffen sie es, in der ganzen Erbärmlichkeit ihres Daseins Inselchen des Trosts zu bewohnen; sonntags, wenn sie nicht auf den Feldern arbeiten mußten und ihre Männer in die Stadt gegangen waren...

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