Unter Büchern

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Samstag, 17. Dezember 2016

Velma Wallis: Zwei alte Frauen

Copyright: Cornelia Conrad
Hier ist der ultimative Geschenktip für alle, die noch nach etwas ganz besonderem suchen.
Als das schmale Büchlein vor 24 Jahren das erste Mal auf deutsch erschien, war ich so begeistert davon, daß ich  sofort 20 Stück gekauft  und zu Weihnachten  allen Freundinnen  geschenkt habe. Da es aber immer noch Menschen geben soll, die diese wunderbare Indianerlegende nicht kennen, setze ich ich sie als letzten Beitrag für dieses Jahres in meinen Blog.
Ein Indianerstamm in Alaska erlebt einen besonders harten Winter. Es gibt so gut wie keine Tiere mehr  zu jagen, die Elche haben sich vor der großen Kälte verzogen. Es droht der Hungertod. Da beschließt der Ältestenrat: der Stamm muß auf Nahrungssuche gehen, fort, in eine bessere Gegend, in der man den Winter  überleben kann.
Zu dem Stamm gehören auch zwei alte Frauen.  Schon lange werden sie von den Jüngeren mit Nahrung und Wasser versorgt, und wenn der Stamm in andere Gegenden weitergezogen ist, hat man ihnen ihre Lagerplätze eingerichtet.
Da die beiden  Frauen nur noch unnütze Esser sind, beschließt der Häuptling: sie sind alt und gebrechlich, bei der beschwerlichen Wanderung nur hinderlich – deshalb werden sie zurückgelassen. Das ist Stammesgesetz...

Die beiden Alten fühlen sich wie in einem Albtraum: sogar ihre Kinder und Kindeskinder ziehen fort: „Ja, auf diese Weise haben sie uns zum Tode verurteilt! Sie glauben, wir seien zu alt und nutzlos. Sie vergessen, daß auch wir ein Recht haben zu leben! Und deshalb, meine Freundin, sage ich, wenn wir denn sterben müssen, so laß uns handelnd sterben und nicht im Sitzen.“
Ihr Kampfgeist ist geweckt.
Sie besinnen  sich darauf, was sie früher einmal alles gekonnt haben: Jagen, Fallen stellen, das Feuer hüten, Felle gerben. Und so kramen sie peu a peu ihr verstaubtes Wissen wieder hervor.
Sie überleben den furchtbar kalten Winter. Sie haben jejagt und gefischt – so reichlich, daß sie sogar Vorräte anlegen können.

Währenddesssen geht es ihrem alten Stamm sehr schlecht. Ihre Leute haben keine besseren  Lagerplätze und Jagdgründe gefunden. Im kurzen Sommer konnten sie sich zwar von den Torturen des Hungerwinters einigermaßen erholen, aber die Zeit war zu kurz, um Vorräte anzulegen So ziehen sie schließlich entkräftet an ihre alte Lagerstelle zurück und erwarten mit schlechtem Gewissen, die beiden  Frauen dort tot zu finden. Es gibt aber keine Spur mehr von ihnen,  und sogar ihr Zelt ist fort. Ein Fährtensucher wird ausgeschickt, er spürt sie auf.
Die beiden Frauen reagieren argwöhnisch, als sie entdeckt werden. Fürchten, ihr alter hungernder Stamm könnte ihnen ihre Vorräte rauben. Es dauert einige Zeit, bis sie Vertrauen fassen. Aber dann bahnt sich langsam Versöhnung an: die Stammesmitglieder versprechen, ihre Lektion gelernt zu haben und nie mehr einen alten Menschen im Stich zu lassen, und die beiden alten Frauen wehren zu viel Betüddelung der Jüngeren ab – sie wollen sich schließlich ihre Unabhängigkeit bewahren, so lange es geht.
Mich hat diese Geschichte nie mehr losgelassen. Sie ist schlicht erzählt, und gerade durch diese Zurückgenommenheit wirkt sie.
Eine Legende, die von Generation zu Generation im Stamm der Athabaska-Indianer weitergegeben wird. Denn ihr Thema ist zeitlos:
Wie gehen wir mit unseren alten Menschen um?



Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr, dessen Glück auch darin bestehen soll, viele schöne Bücher zu lesen.

2 Kommentare:

  1. Liebe Cornelia,
    vor Jahren bekam ich dieses Buch von einer Freundin geschenkt. Es lässt mich nicht los. Und ich wünsche mir eine solche Freundin, wenn's drauf ankommt. Dann würde ich auch arbeiten wollen und können! Aber sicher!
    Ich danke Dir, dass Du dieses Buch besprochen hast.

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  2. Wie schön, daß Du dieses Buch von einer Freundin geschenkt bekommen hast. Durch die Geste des Geschenks wird gleichzeitig die Idee (das Versprechen?) vermittelt: ich stehe hinter dem Inhalt. Wie tröstlich, nicht wahr?

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