Unter Büchern

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Sonntag, 27. November 2016

Elena Ferrante: Meine geniale Freundin

Copyright: Cornelia Conrad
Ich war früher auch so: gab es einen Hype um ein Buch – und stand es ewig auf der Bestsellerliste und lag es in jedem Schaufenster -, rümpfte ich die Nase und dachte mir:
Das kann ja nix sein!
Das hier ist aber was! Nämlich großartig. Süffig. Intelligent. Atmosphärisch. Und süchtig machend.
Elena Ferrante erzählt in diesem wunderbaren Buch die Geschichte von zwei Mädchen. Lila und Elena. Sie lernen sich im Neapel der 1950er Jahre als Kinder kennen und hängen wie die Kletten aneinander. Dabei sind sie sehr unterschiedlich: Elena, die Ich-Erzählerin, die die ganze Geschichte ihrer Freundschaft mit Lila in der Retrospektive erzählt, ist ein narzisstisches, ehrgeiziges Kind (nicht unbedingt sympathisch); Lila dagegen ist sehr gradlinig, oft sehr ruppig, hochintelligent – und rätselhaft.
Während Elena die weiterführende Schule besuchen darf, muß Lila ihrem Vater in seiner Schusterwerkstatt helfen. Aber sie besorgt sich einen Ausweis für die Bibliothek der Stadt (und für Vater-Mutter-Bruder  gleich mit, obwohl die nichts vom Lesen halten, aber so kann sie mehr Bücher ausleihen!) und lernt autodidaktisch alles (und leichter und schneller), was Elena in der Schule mühsam erarbeitet.

Das Viertel, in dem Lila und Elena wohnen, ist ein ärmliches Arbeiterviertel. Aus dem die beiden noch nie herausgekommen sind. Nie das Meer gesehen haben. Statt dessen sind sie umgeben von Flüchen und Gewalttätigkeit, von Mord und Revierkämpfen der heranwachsenden Jungs, von zeternden Müttern und prügelnden Vätern. Wer hat das längste, das teuerste, das aufwendigste Feuerwerk an Silvester? Die Familie, die einigermaßen wohlhabend ist (warum? Woher? Der Leser fängt irgendwann an, sich so seine Gedanken darüber zu machen!) – oder die konkurrierende, die sich für dieses Feuerwerk hoch verschuldet hat?
Wir begleiten die beiden Mädchen in ihre Pubertät hinein, Elena ist das erste Mal verliebt – ausgerechnet in den so hübschen wie scheuen und klugen Nino, dessen  zwielichtiger Vater  seine Hände nicht bei sich behalten kann (was für die unschuldige Elena ein Schock ist). Lila dagegen liebt niemanden. Sie läßt niemanden an sich heran. Sie ist kratzbürstig, ruppig, abweisend. Dabei könnte sie den reichsten Jungen des Viertels haben. Der scheint ihr regelrecht verfallen zu sein.
Er fährt einen roten Fiat 500  - eine Sensation,  die Lila völlig kalt läßt -, er stellt ihr nach, überhäuft sie mit teuren Geschenken (dem ersten Fernseher im Viertel!, der vor allem Lilas Eltern sehr für den Schwiegersohn in spe einnimmt!)...
Es hat eigentlich gar keinen Sinn, von diesem fulminanten Roman (erster Teil von vieren, ich warte sehnsüchtig auf Band zwei!) hier eine Inhaltsangabe zu machen. Der Roman ist voll von lebendig skizzierten Figuren, voll von Andeutungen, voll von klugen Beobachtungen. Mein Liebster hat das Buch mit der gleichen Begeisterung gelesen wie ich – und in  unseren Frühstücksgesprächen umkreisten wir immer wieder  die beiden Protagonistinnen des Buchs, es fielen uns immer weitere Details an Randfiguren ein, die plötzlich Gewicht bekamen.
Am Anfang meint man zwar, daß man das ganze Personal des Romans nie und nimmer auseinander halten kann. Aber der Erzählstrom ist  gemächlich und die Autorin so nett, uns immer wieder Gedächnisstützen zu geben im Verlauf dieser Geschichte, wer wer ist.
Elena und Lila aber sind Figuren, für die wir noch Jahre nach der Lektüre keinerlei Gedächtnisstützen brauchen  - so nah sind sie uns gekommen, dank einer genialen Erzählerin.



2 Kommentare:

  1. Liebe Cornelia,
    zum Wochenbeginn deine neue Empfehlung bekommen auf deine letzten Buchempfehlungen zurückgeblickt:
    Von der genialen Freundin (E. Ferrante) und einem ungezähmten Leben (J. Walls) zum Sommer-Monat auf dem Land (J.L. Carr) bis hin zur Raumpatroullie (M. Brand).

    Verlockungen: schenken, verschenken - lesen!
    Vielen Dank! Mi

    PS:
    Wo hast du das Foto zu Neapel aufgenommen? Extra weit gereist, um deinen Fans so ein Bild bieten zu können?

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  2. Danke für Dein Lob, für Deine Begeisterung, für Deine Rückmeldung. Tut gut! Das Bild ist übrigens nicht Neapel...Soll ich´s verraten? Ich habe es in Venedig aufgenommen!

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