Unter Büchern

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Donnerstag, 28. Juli 2016

Petra Reski: Ein Land so weit

Copyright: Cornelia Conrad
„Meine Großmutter wollte nie zurück. Aber am Ende einer jeden Familienfeier wurde immer das Ostpreussenlied gesungen und danach weinten alle. Uns Kindern war das immer peinlich. Meine Grußmutter weinte, meine Tanten und Onkel weinten, auch die Angeheirateten weinten, die Ostpreussen gar nicht kannten, nur meine Cousins und ich tranken Eierlikörflip und aßen dazu Salzstangen.“
Petra Reski erzählt über ihre Kindheit und Jugend, in der es eine sehr dominierende Frau gab: ihre Großmutter. Diese Großmutter hat die Resolutheit von Irene Disches „Großmama“, sie hat die ganze Familie im Griff, ohne sie geht nichts.
Petra Reski sind die Erzählungen von „der Heijmat“ entsetzlich. Vor allem, da die ja eine virtuelle zu sein scheint. So weit fort. Trotzdem profitiert sie davon: wenn sie mit ihrer Busenfreundin Gabi, mit der sie ständig im Clinch liegt, Stadt-Land-Fluß spielt, punktet sie bei Stadt immer mit „Allenstein“ –was Gabi überhaupt nicht passt. Wo soll das denn überhaupt sein?!
Ich habe Tränen gelacht bei Reskis Beschreibung von Familienfeiern.
Reski ist eine großartige Beobachterin (gewesen), sie erinnert sich minuziös, wie das (immer!) ablaufen mußte: gemischte Platte (Schwein und Rind), gemischtes Gemüse (in der Mitte immer ein Blumenkohl) – dazu Musik von einer halbseiden wirkenden 3-Mann-Kapelle in glitzernden Jacken. Und natürlich lautet das Großmutter-Diktat auch: es muß getanzt werden. Schnaps fließt in rauhen Mengen, wer keinen trinkt, ist ein Weichei. Und zum Schluß natürlich immer: das Ostpreußenlied.
Auch die Beerdigungen haben es in sich: für die Großmutter ist nur eine richtige Beerdigung, wenn der Kirchhof proppenvoll ist. Und Berge von Kränzen angeliefert werden. Und alle (alle!) weinen. Der Pfarrer, der den obligatorischen Schnaps ablehnte, statt dessen Apfelsaft trank, war kein ernst zu nehmender Pfarrer.
Natürlich ist der Autorin als Kind manches dieser Rituale auf den Wecker gegangen. Trotzdem: dieses Ostpreußen beschäftigte sie. Als Erwachsene reist sie durch Polen und landet in dem Dorf, aus dem ihre Großeltern stammten. Sie trifft auf steinalte Frauen, die sich noch an sie erinnern. Sie wird herumgereicht und bekommt Geschichten erzählt. Wie uns Lesern allerdings Reski deren Geschichten erzählt, das ist das eigentlich Interessante daran: wir werden mit keinerlei süßlicher Verlorener-Heimat-Sentimentalität melancholisiert. Im Gegenteil: Reski zeigt uns ihre Gesprächspartnerinnen zwar mit liebevollen, aber durchaus kritischen Blicken. Die eine hat weder fließendes Wasser noch ein Klo im Haus. Die andere hat einen Säufer als Sohn, der gerade sein kostbares Gebiß im Suff zertrümmert hat. Und wieder eine andere flüchtet sich vor der Sinnlosigkeit ihres Daseins ins ewige Putzen...
Es ist seltsam für die Autorin, an einem Ort zu sein, von dem sie nichts kannte als Erzählungen. In ihrer Kinderphantasie existierte er eigentlich nicht. Und plötzlich wird sie konfrontiert mit einem Leben ihrer Großeltern, von dem sie eigentlich nichts wußte.
Ich habe dieses wirklich großartig erzählte Buch mit viel Vergnügen  gelesen. Ich habe meiner Freundin in Amerika am Telefon daraus vorgelesen, um sie aufzuheitern (es hat funktioniert!). Ich habe es meinem Liebsten in die Hand gedrückt – und auch der ist hin und weg davon.
Es ist KEIN In-der-Heijmat-war-alles-schöner-besser-Buch voller unreflektierter Sentimentalität. Es ist vielmehr ein Buch, das mit viel erzählerischem Witz und ebenso viel Wärme unseren Horizont erweitert. Uns Lesevergnügen bereitet. Uns staunen läßt über das große, sprachlich hinreißend erzählerische Talent von Petra Reski.





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