Unter Büchern

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Montag, 29. Februar 2016

Franz Hessel: Der Kramladen des Glücks

Copyright. Cornelia Conrad
Ist das nicht ein Titel, der einem sofort Lust macht auf das Buch?
 Mich hat dieser "Kramladen des Glücks" schon lange fasziniert: ich stellte mir etwas Verwunschenes und Zartes vor, abseits des lauten Getöses schriller Buchtitel.
Manchmal schleppt man also jahrelang so ein geheimnisvolles Gewisper mit sich herum, ohne es entschlüsseln zu wollen – es verlöre seinen Reiz.
Eines Tages schaltete ich auf einer Autofahrt das Radio ein - und war enthusiasmiert von der Sprache einer ganz leisen Geschichte:
Da schlendert ein junger Mann auf der Suche nach einem Zimmer durch die Straßen einer Stadt... Trifft auf eine Vermieterin, die offensichtlich anderes mit ihm vorhat: "er gab karge Antworten und sah verloren in den hochfrisierten Haarwald der Dame."... Landet schließlich bei drei ältlichen adligen Schwestern, in deren Garten er "nur zur Miete" herumspaziert...
Ich wollte mehr wissen über diesen aus der Zeit gefallenen jungen Mann und blieb deshalb so lange im Auto sitzen, bis die Absage der Lesung kam: "Sie hörten in `Fortsetzung folgt` `Der Kramladen des Glücks` von Franz Hessel."
Jetzt stieg dieser Titel, der mich so lang umwispert hatte, wie die Schaumgeborene aus dem Meer meiner Phantasie – und deshalb mußte das Buch mit dem verheißungsvollen Titel endlich seinen Einzug ins Bücherhaus halten. (Dank booklooker ging das schnell und problemlos.)
Um es vorweg zu sagen: dieses Buch kann man nicht in einem Zug lesen. Es verlangt ganz langsames Lesen – so, als ob wir uns flanierend, schlendernd, in einer Straße jedes Haus ansehen würden, statt durch sie hindurch zu hasten.



Am Anfang steht die Betrachtung der Welt durch ein Kleinkind. Mit sparsamen Sätzen skizziert Hessel die Eindrücke (s)eines Dreijährigen (Alter Egos). Und wir sind sofort mittendrin in diesem kultivierten großbürgerlichen Haushalt: der Vater, ein Schöngeist, die Mutter zart und kränkelnd.
Nach 32 Seiten beginnt das "zweite Buch": Gustav ist in der Pubertät, voller Gefühlsschwankungen, ständig verliebt. Und immer bereit, Glück zu fühlen, zu sehen, zuzulassen – auch wenn es oft verschwindet unter dunklen Kummerwolken: die angebetete Martha heiratet einen anderen, die verehrte Kornelie entscheidet sich für seinen Bruder Rudolf. "Es gab eine Welt, die mein eigen war. Ich hatte so viel Kurzweil an allen Worten, deren sich meine Zunge bemächtigen konnte. Ich sagte sie mir laut und leise vor mit mancherlei Betonung und Veränderung. Seit man mich aber gelehrt hat, Dinge und Worte aufeinander zu beziehen, bin ich ärmer geworden, scheint mir."
Der junge Glücksritter Gustav lernt nach mancherlei Enttäuschungen in München schließlich Gerda von Broderson kennen. Die ist in Künstlerkreisen berühmt für ihre libertinäre Lebens- und Liebensweise. Sie fasziniert den Suchenden Gustav sofort und wird seine mütterliche Freundin. (Insidertip: Gerda von Broderson ist die berühmte Franziska zu Reventlow, die in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in München bissige Romane schrieb und Mittelpunkt künstlerischen Lebens war.) Früher hatte Gustav Weltschmerz: "Ich ertrage es nicht (nach dem Konzert), daß die Musik verhallt und dann ist alles wie vorher: Garderobe, Wagen, Straßen, Heimgehen. Es müßte irgend etwas geschehen nach solchen Tönen. .."
Jetzt trifft er auf Lisel, die er auf einem Künstlerball kennengelernt hat – und verläßt sie am Morgen danach als ein anderer: "Jetzt fängt das wahre Leben an, dachte er. Das wird ein richtiges Verhältnis, und ich werde ein richtiger Mann."

Franz Hessel – der Vater von Stéphane Hessel ("Empört Euch!") lebte von 1880 bis 1941. Er schrieb Romane, Gedichte, übersetzte. Und ist durch Bücherverbrennung und Kahlschlag im "Dritten Reich" einer der Vielen, die in Vergessenheit geraten ist. Wie jammerschade.

 

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