Unter Büchern

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Donnerstag, 7. Januar 2016

Alex Capus: Fast ein bißchen Frühling

Die Dezemberpause ist vorbei – die Blog-

Copyright: Cornelia Conrad
gerin wünscht all ihren treuen Lesern
ein gutes neues Jahr.
Und passend zum Wetter empfehle ich Euch in diesen ersten Januartagen
"Fast ein bißchen Frühling"!
"Das ist die wahre Geschichte der Bankräuber Kurt Sandweg und Waldemar Velte, die im Winter 1933/34 den Seeweg von Wuppertal nach Indien suchten. Sie kamen nur bis Basel, verliebten sich in eine Schallplattenverkäuferin und kauften jeden Tag eine Tango-Platte..."
Da möchte man doch sofort weiterlesen, oder?
Dorly, Schallplattenverkäuferin im Warenhaus Globus in Basel, hat gerade ihren Mann verlassen, weil der sie jedesmal schlägt und würgt, wenn er (!) im Bett versagt hat. Sie "mied fortan den Umgang mit Männern".
Da laufen ihr Waldemar und Kurt über den Weg. Zwei junge Ingenieure, die aber, wie viele andre auch, in diesen Zeiten keine Arbeit haben. "Die paar freien Stellen sind für Parteimitglieder reserviert." Waldemar ist groß, ernst und grüblerisch, sein Freund Kurt klein, sonnig und heiter.
Die beiden haben gerade in Stuttgart eine Bank überfallen und dabei unbeabsichtigt den Filialleiter erschossen.




Sie wollen Deutschland verlassen, wo man verprügelt wird, wenn man "guten Tag" sagt, statt "auf die staatlich verordnete Weise" zu grüßen. Wo man keine Arbeit bekommt. Wo die soziale Schere immer weiter aufgeht.
Aber das ist nicht so einfach. Sie werden hin und her geschickt, vom Konsulat in Düsseldorf zurück zur Stadtverwaltung Wuppertal, von wo sie stammen. Tagelang. Hier fehlt ein Datum, dort ein Formular... Die bürokratischen Hürden sind hoch, aber endlich klappt es: Waldemar und Kurt überqueren die deutsch-belgische Grenze bei Aachen. In Antwerpen fährt der Dampfer nach Amerika ohne sie ab, "weil sie nicht über die nötigen Papiere verfügen, zweitens, weil Amerika auch ohne sie schon 15 Millionen Arbeitslose hat, und drittens, weil die 1250 Reichsmark aus dem Banküberfall nirgends hinreichen."
Also weiter mit dem Zug über Brüssel nach Paris. Aber "an der Gare de l`Est gibt es nur Ankömmlinge, niemand fährt weg." Die Stadt wird von Flüchtenden, von Arbeitsuchenden überrollt – und unsere beiden Flüchtenden reisen deshalb weiter. Mit dem Schnellzug. Nach Basel.
So. Und hier beginnt jetzt die eigentliche Geschichte vom "bißchen Frühling". In der wir ja eigentlich schon mittendrin sind.
Weil die Tangoplatte, die die beiden bei dem schönen Fräulein Dorly bestellen, erst am nächsten Tag da sein wird, beschließen sie, ihre Weiterfahrt um einen Tag zu verschieben. Und um noch einen. Und noch einen. Sie laden Fräulein Dorly zum Spazierengehen ein. Gehen mit ihr Schlittschuhlaufen auf dem zugefrorenen Rhein – denn es ist ein sehr kalter Winter.
Dann geht ihnen das Geld aus...
Die tragische Geschichte von zwei Glücklosen, die wider Willen zu Verbrechern werden, beruht auf einer wahren Begebenheit.
Alex Capus erzählt sie in knappem sachlichem Ton. Er bringt es fertig, in einem Halbsatz einen Menschen scheinbar beiläufig so zu beschreiben, daß wir diesen Typen genau vor uns sehen.
Aber nicht nur Capus erzählt. Zwischendurch kommen Dorly und Augenzeugen in Polizeiprotokollen zu Wort. Sie alle beschreiben die Freunde Waldemar und Kurt als freundlich und höflich.
Am Ende dieses beeindruckenden kleinen Romans entläßt uns der Autor mit sehr essenziellen Überlegungen zu Gerechtigkeit und Recht, zu Menschenwürde – und mit der Frage: wo findet man in kalten Zeiten ein "kleines bißchen Frühling".

Axel Capus hat auch eine andere wahre Geschichte literarisch verabeitet. In seinem Buch "Eine Frage der Zeit" geht es um ein Schiff, das im Ersten Weltkrieg in Einzelteilen von Deutschland nach Afrika gebracht und am Tanganjikasee zusammengebaut wurde. Ein Protokoll der Unsinnigkeit und der Vergeblichkeit. Eins der Lieblingsbücher meines Mannes...




  

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