Unter Büchern

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Montag, 30. November 2015

Kveta Legátová: Der Mann aus Zelary

"Der Mann aus Zelary"
Copyright: Cornelia Conrad
(sprich: "schelarie")
 mit stimmhaftem "sch" wie im französischen"George") –
das ist eine der zartesten, berührendsten Liebesgeschichten, die ich je gelesen habe.
Die Ich-Erzählerin, eine junge Ärztin, läßt uns neben sich hergehen: Tschechoslowakei 1942. Besetzt von deutschen Truppen. Sie, die Protagonistin, arbeitet in einer Widerstandsgruppe als Botin.
Nachdem sie ihrer Enttarnung nur knapp entkommen ist, entscheidet ihre Gruppe:
"du mußt untertauchen".
Was liegt näher, als sie mit Joza in dessen abgeschiedenes Bergdorf zu schicken.
Die junge Ärztin hat diesen Joza im Krankenhaus betreut, sie hat ihn zusammengeflickt, sie hat ihm das Leben gerettet. Sie saß oft an seinem Bett und hörte sich völlig verzaubert dessen Geschichten aus Zelary an.
Aber das ist etwas ganz anderes, als mit diesem tumben, einfältigen Bauern – der ganz schnell aus dem Krankenhaus entlassen wird und von der Ärztin nach Hause begleitet werden soll – ein (vorläufiges!) gemeinsames Leben zu leben.
Damit ihre neue Identität auch wirklich sicher ist, soll sie ihn nämlich auch noch heiraten.





Die junge Frau hat keine Alternative, aber sie ist natürlich entsetzt und glaubt, das sei das Ende ihres Lebens. Außerdem liebt sie Richard, den kultivierten, weltgewandten Mann! Der allerdings verheiratet ist...
In Zelary kommt sie scheinbar ans Ende der Welt. Ein Kuhdorf, abgelegen in den Bergen. Ihr Zuhause: "Der Lehmfußboden, die nackten Wände, ein einziges Regalbrett, ein Kleiderhaken, eine Bank, ein Tisch. In der Stube ein breites Bett mit zwei Strohmatratzen und zwischen den kleinen Fenstern so etwas wie eine Kiste... Kein Wasserhahn, keine Elektrizität und weitere zehn Keins.". Und die Nachbarn: dumpfes, dummes Volk...
Die Menschen in Zelary sind kantig. Wir sehen sie vor uns: die hübsche Zena,die der jungen Frau das Kochen beibringt; Lipka, den Waisenjungen, der alle Hunde versteht; und die brüske, zynische Kräuterhexe Lucka, die mit ihrem immensen Wissen heilt und hilft, aber niemanden an sich ranläßt – außer den Priester, der lebt, was er mit klaren und einfachen Worten verkündet...
Ihr Mann Joza ist immer freundlich zu ihr, sanftmütig, geduldig. Die junge Frau wittert böse Absichten dahinter, verkriecht sich in ihr sinnlos-leer gewordenes Innenleben und wartet ständig darauf, daß ihr Mann ihr sein wahres Gesicht endlich zeigt: "Obwohl mich Joza nie irgendwie mißhandelte, ganz im Gegenteil, lebte ich in ständiger Anspannung. Mich quälten Vorahnungen. Was, wenn alles anders war? Wenn ich dabei war
, die alte Überlegenheit der Ärztin aufzubrauchen?..."
Aber Joza bleibt freundlich und sanft.
Er macht lange Spaziergänge mit ihr: "Zu meinen hellen Freuden gehörte das Bergwandern. Joza führte mich durch die Wälder und über Abhänge, manchmal weit bis in benachbarte Dörfer..." Die Liebe zur Natur verbindet die beiden, und Joza darf sogar hin und wieder ihre Hand halten. Er geht mit ihr ins Theater im Dorf, was ihr Vergnügen bereitet. Sie lernt ihre Nachbarn kennen. Und schätzen. Und immer mehr kommt sie an in diesem so anderen Leben. Ihr Panzer wird durchlässig, ihre Empfindungen werden hell und tief. Und sie läßt sich mehr und mehr auf dieses einfache, fundamentale Leben ein, in dem sie sich reicher fühlt als je zuvor: " Meine unpersönliche Höhle in der Stadt voller Lichter, Theater, Galerien, Konzertsäle und breiter Straßen mit überladenen Schaufenstern war unbemerkt zu einem Leichnam geworden, reif für den Seziertisch"...








Das alles ist kein "schöner-auf-dem-Land-leben"-Kitsch. Diese Novelle beeindruckt mit ihrer Dichte, Intensität und ihren plastischen archaischen Bildern. (Wer sich davon hat gefangen nehmen lassen, sollte unbedingt auch Catalin Florescus "Blinden Masseur" lesen!)
Und die Liebesgeschichte, die so zart und wahrhaftig und lauter erzählt wird, die ist (bei allem düsteren Hintergrund) etwas sehr Besonderes.
(Novelle: eine kürzere Erzählung, die nur eine Haupthandlung hat und linear erzählt wird.)
  

6 Kommentare:

  1. Gefesselt war ich von diesem Buch. Du hast schon viel verraten in Deiner Empfehlung. Ich hätte, wenn nicht Schlaf zwischendurch notwendig gewesen wäre, diese Novelle nicht vor dem Ende aus der Hand gelegt. Danke!

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  2. Vielen Dank für Deine Rückmeldung! Es freut mich sehr, daß meine Empfehlungen auf- und angenommen werden - das spornt mich an! Und es ist schön zu wissen, daß meine Lieblingsbüchber von Dir und anderen geschätzt werden. Auf ein gutes, viel-seitiges neues (Lese-)Jahr!

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    1. Oh ja, auch von Anderen geschätzt!
      Inzwischen las DEIN Buch eine Freundin,auch fast pausenlos.

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  3. Wie schön, daß es Deiner Freundin auch so gefallen hat. Ich freue mich sehr über solche sich erweiternden Kreise...

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  4. Auch ich danke dir und werde das Buch weiterempfehlen & weitergeben - und hoffe & warte auf weitere Buchempfehlungen von dir!

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  5. Vielen Dank für Deine Rückmeldung! Ich freue mich sehr darüber, mit meinen Lieblingsbüchern so gute Resonanzen zu bekommen; denn das sport mich sehr an. Und versprochen: es geht weiter!

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