Unter Büchern

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Freitag, 30. Oktober 2015

Helene Hanff: 84 Charing Cross Road


Copyright: Cornelia Conrad
"Ich liebe antiquarische Bücher sehr, die von selbst an der Seite aufklappen, die der frühere Besitzer am häufigsten gelesen hat. Als der Hazlitt ankam, klappte er bei `Ich hasse es, neue Bücher zu lesen´ auf, und ich rief dem Besitzer vor mir, wer immer es gewesen sein mag, lautstark `Kamerad!´ zu." Schreibt Helene Hanff aus New York 1949 an ein Antiquariat in London.

Helene ist eine erfolg- und deshalb mittellose Drehbuchschreiberin. Mit einem riesigen Lesehunger. Da sie das, was sie will, in New York nicht bekommt (oder ihr der Weg ins nächste Antiquariat 5 Blocks entfernt zu weit ist), schreibt sie lieber an Marks & Co in der Charing Cross Road.
 

Die temperamentvolle, selbstironische Bibliomanin ist begeistert von dem Buchhändler in London – 


er findet beinahe alles, was sie haben will, und das für wenig Geld, und so dauert es nicht lange, da taucht hinter den anonymen "sehr geehrten Herren" in London Frank auf. Frank ist Angestellter bei Marks & Co und ist Helene in seiner Liebe zu Büchern ebenbürtig.
Aus dem anfangs geschäftsmäßigen, förmlichen Briefwechsel entwickelt sich zwischen den beiden schnell mehr. Helene erfährt von Frank, daß die Menschen in London weger der Lebensmittelrationierung sehr hungern. Und prompt schickt sie, die selbst nichts hat,  zu Weihnachten ein kleines Freßpaket an die Mannschaft bei Marks & Co. Dadurch lernt sie jetzt auch die Kollegen von Frank kennen, denn alle bedanken sich natürlich bei ihrer Wohltäterin: "Wir alle lieben Ihre Briefe und versuchen uns vorzustellen, wie Sie aussehen mögen. Ich für meinen Teil habe beschlossen, daß Sie jung, sehr kultiviert und elegant sind. Der alte Herr Martin glaubt, daß Ihnen die Studiertheit ins Gesicht geschrieben sein muß, trotz Ihres wunderbaren Sinns für Humor." Schreibt Cecily an Helene.
Die trockene, schlagfertige Helene kann - wenn ihr eine Ausgabe oder eine Übersetzung nicht zusagt - fürchterlich wettern und schimpfen. Oder wenn ihr die Londoner ein Buch schicken, das sie in bedrucktes Papier eingewickelt haben. "Wir leben in verkommenen, zerstörerischen ... Zeiten, wenn eine Buchhandlung - eine BUCHHANDLUNG - damit anfängt, schöne alte Bücher auseinanderzureißen, um sie als Einpackpapier zu verwenden... Warum wickeln Sie die Bücher nicht in  Seiten aus dem Vorwort ein, so daß ich zumindest herausfinden kann, wer die Schlacht gewann und welcher Krieg es war?"
Über Raritäten kann sie aber genau so temperamentvoll schwelgen und schwärmen: "Es wird Sie begeistern zu erfahren (von mir, die ich Romane hasse!), daß ich mich endlich an Jane Austen gemcht habe und über "Stolz und Vorurteil" ganz aus dem Häuschen geraten bin, über ein Buch, das ich nicht zur Bücherei zurückbringen kann, ehe Sie ein Exemplar für mich aufgetrieben haben."
Helene möchte so gern diese Menschen in London kennenlernen, die ihre Freunde geworden sind, doch Jahr für Jahr kommt der notorisch klammen Autorin etwas dazwischen: eine Zahngeschichte, ein erzwungener Umzug, kein Auftrag, kein Geld. Über viele Jahre hinweg, bis 1969, nehmen wir teil an der Freundschaft zwischen den Londoner Buchhändlern und Helene Hanff.
Es ist unglaublich, was in diesen 154 Seiten steckt!
In einem Roman hätte das alles 300 und mehr Seiten gebraucht, um entwickelt zu werden – und wäre wahrscheinlich blass geblieben. Aber hier, in diesem schmalen Briefwechsel, wird so klug und weise skizziert, daß wir viel erfahren: nicht nur über Bücher und die Menschen, die sie lesen und verkaufen, sondern auch über Lebensbedingungen in England nach dem Krieg ...

Und wem diese Kostbarkeit gefallen hat, dem sei gleich noch ein Buch empfohlen, in dem es auch um Menschen und Bücher geht: Allan Bennetts "Souveräne Leserin".


 


 

2 Kommentare:

  1. Vielen Dank für den Tipp. Das Buch habe ich bestellt, bekommen und bereitgelegt. Es wird mich auf der nächsten Zugfahrt begleiten - freue mich schon darauf! Gruß, Mi

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  2. Liebe Mi, - schön, daß ich Dir Appetit auf dieses wirklich zauberhafte Büchlein machen konnte. Verpaß den Ausstieg nicht! Die Lektüre ist sehr fesselnd...

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