Unter Büchern

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Donnerstag, 9. April 2015

Erri de Luca: Montedidio



copyright Cornelia Conrad
Dieses Buch ist ein Kleinod.Es leuchtet, wenn man es ganz langsam liest.

Aber man kann es gar nicht schnell lesen. Denn in beinahe jedem seiner sorgsamen, sparsamen Sätze stecken noch ganz andere Geschichten als die, die der Ich-Erzähler gerade erzählt.
Er ist 13 Jahre alt. Ein neapolitanischer Junge, der "auch im Winter Sandalen trägt". So schmuggelt de Luca die Information: der Junge ist das Kind armer Eltern... Er arbeitet nach fünf Jahren Schule bei Meister Errico, dem Schreiner, in der Werkstatt.
Abends übt er auf der Dachterrasse des Hauses mit seinem Bumerang. Eines Tages, wenn der Junge stark genug geworden ist, wird er den Bumerang fliegen lassen. "Das ist ein Flügel aus Holz."

Aber erst einmal besucht ihn Maria abends auf der Terrasse. Marias dreizehn Jahre "sind erwachsener als meine", sagt der Junge. Maria wird vom Hausbesitzer mißbraucht, weil ihre Eltern die Miete nicht bezahlen können. Aber nachdem sie sich in den Jungen verliebt hat, der so unschuldig ist, ist sie stark genug, sich dem Hausbesitzer zu verweigern.
In der Werkstatt von Meister Errico arbeitet auch Don Rafaniello, ein Schuster. In dessen Buckel Flügel wachsen - so erzählt er dem Jungen. Wenn die Flügel ausgewachsen sind, wird er mit ihnen nach Jerusalem fliegen. Don Rafaniello, der in einem früheren Leben Rav Daniel hieß, "kommt aus einem Unglücksland, das alle Kinder verloren hat".
Don Rafaniello und der Junge freunden sich an. Und der Junge lernt von dem weisen Schuster Wesentliches. "Alle Augen brauchen Tränen, um sehen zu können, sonst werden sie wie die der Fische, die außerhalb des Wassers nichts sehen... Es sind die Tränen, die das Sehen ermöglichen."
Und Maria lernt durch den Jungen, wie es ist, wahrgenommen zu werden, unschuldig geliebt zu werden -  und damit die bösen Geister zu vertreiben.
De Luca beschreibt mit großer Wärme sein Kindheits-Neapel der 50er Jahre. Das Neapel der kleinen Leute, der Armen, die in beinah dörflicher Gemeinschaft Menschlichkeit leben.
Man möchte dieses kleine große Buch laut lesen, vorlesen, um die wunderbare Sprache vom Papier zu lösen, ihr Atem und Raum zu geben.



Und übrigens: Erri de Luca heißt so, weil seine Mutter Amerikanerin war und ihm den Namen Harry gab. den konnten die Neapolitaner aber nicht richtig aussprechen, und so wurde "Erri" draus.

2 Kommentare:

  1. Vielen Dank für die Anregung - das will ich lesen! Und in meiner Stadtbibliothek gibt es die Ausgabe mit dem Titel "Ich bin da" ...

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  2. Vielen Dank für Deine Rückmeldung - es freut mich sehr, daß ich Dir Appetit machen konnte, dieses wunderbare Buch zu lesen.

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