Unter Büchern

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Mittwoch, 1. April 2015

Donna Tartt: Der Distelfink

copyright Cornelia Conrad
Hier ist das richtige Buch für alle, die über Ostern beim Lesen versinken möchten – es hat 1 000 Seiten! Leider ist es aber erst gebunden auf dem Markt...

Donna Tartt, vielen durch ihre "Geheime Geschichte" bestens in Erinnerung, erzählt in ihrem neuen Buch eine Geschichte, die mich sofort fesselte: Theo, 13, flüchtet mit seiner Mutter vor dem Regen in New York ins Museum. Seine Mutter ist eine große Kunstliebhaberin, und obwohl sie kein Geld hat (der Ehemann, ein Hallodri, ist abgehauen und hat einen Berg Schulden hinterlassen), ist sie Dauergast im Museum. Vor allem das Bild "Der Distelfink" hat es ihr angetan.

Plötzlich gibt es eine unglaubliche Detonation. Theo gelingt es, sich aus einem Trümmerberg zu befreien und auf die Straße zu retten. Den "Distelfink", der am Boden lag, nimmt Theo einfach mit.


Das wird über viele Seiten beschrieben. und der Leser steckt mit den verletzten und toten Museumsbesuchern in einer Wolke aus Staub und Trümmern. Die Bilder sind intensiv, aber nicht aufdringlich. Man hat nicht das Gefühl, daß eine Katastrophe beschrieben wird. Es kommt einem eher so vor, als stünde man wie all die Betroffenen unter Schock.

Als er erfährt, daß seine über alles geliebte Mutter bei der Explosion gestorben ist, versinkt er in Trauer und Agonie. Er wird von der Familie seines Freundes Andi vorübergehend aufgenommen. In eine Villa voller Antiquitäten und ohne Wärme. Eines Tages taucht zu seinem Entsetzen sein Vater auf. Nimmt ihn mit nach Las Vegas. Wie Donna Tartt diese Wüste um die Stadt beschreibt, das Licht, den ewig blauen Himmel, den Sand – das ist unglaublich. Man hat beim Lesen das Gefühl, nicht nur einen Film zu sehen, sondern von der Sonne versengt zu werden, Sand zwischen den Zähnen zu haben.

Der Vater kümmert sich kaum um seinen Sohn. Theo verwahrlost. Erst allein, dann zusammen mit seinem Freund Boris. Der ist hochintelligent, spricht mehrere Sprachen, ist belesen – aber das ist ihm egal. Er will Spaß und Freude am Dasein haben. Die beiden betrinken sich jeden Abend, sie kiffen, sie verbringen jede freie Minute miteinander. Das Leben kehrt in Theo zurück. – Und immer, immer ist "Der Distelfink", gut verschnürt und versteckt, in Theos Nähe, das Bild, das seine Mutter so liebte... Und das er immer wieder auspacken und ansehen muß: den kleinen Vogel, der an eine kurze Kette fesselt, in Würde und Trauer ins Herz des Betrachters schaut.

Die Autorin nimmt sich mit dem Erzählen Zeit. Und mit der Entwicklung ihrer Personen. In einer geschliffenen Sprache voller staunenswerter Bilder zieht sie den Leser wie ein Magier immer tiefer in ihre Geschichte, und man bedauert es, viel zu spät in der Nacht doch irgendwann das Licht ausmachen zu müssen. Einziger Nachteil: das Buch ist so schwer, daß es keine gemütliche Bettlektüre ist. Aber eine faszinierende, fesselnde. Ich habe mich eine Woche lang jeden Tag aufs Weiterlesen gefreut.

 


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