Unter Büchern

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Montag, 2. März 2015

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben



„Er war stark, aber langsam. Er dachte langsam, sprach langsam und ging langsam, doch jeder Gedanke, jedes Wort und jeder Schritt hinterließen ihre Spuren, und genau da, wo solche Spuren seiner Meinung nach hingehörten.“
Dieser Egger lebt ein Leben, von dem wir, wenn uns irgend jemand davon erzählte, dächten, daß es ein trauriges, trostloses Leben sei.
Aber was Robert Seethaler, dieser wunderbar leise und kluge Erzähler, uns über Egger erzählt, ist eine Geschichte, die  glücklich macht.

Denn was gibt es Schöneres, als nach nur 154 Seiten die Lebensgeschichte eines Mannes  erzählt bekommen zu haben, der uns sehr anrührt. Für den wir kein klein machendes Mitleid entwickeln, sondern Respekt und Bewunderung – und  der Gedanken über das Wesentliche in uns freilegt?
Egger wird von seinem Ziehvater so geprügelt, daß er zeitlebens hinkt. Als er achtzehn ist, ist er so stark, daß er sich dem groben Bauern mit einem schlichten Satz widersetzt: „Ich will meine Ruhe, sonst nichts.“ Er arbeitet als Hilfsarbeiter, denn er will kein Bauer werden: „Bauer sein bedeute nämlich, ein Leben lang auf seiner Scholle herumkriechen und mit gesenktem Blick in der Erde wühlen.  Ein Mann nach seinem Geschmack aber müsse den Blick heben, auf daß er möglichst weit hinwegschaue über sein eigenes, eng begrenzetes  Fleckchen Erde.“
Er verliebt  sich in Marie. Weil er zu schüchtern ist, ihr einen Heiratsantrag zu machen, bittet er den Thomas Mattl um Hilfe. Und so entsteht in der dämmernden Bergwelt der poetischste Heiratsantrag, den ich je gelesen habe: „ ´Für dich, Marie´, stand in flackernden Buchstaben in den Berg geschrieben“.
Aber Eggers Glück dauert nicht lange. Eine Schneelawine walzt über seine kleine Berghütte und tötet Marie.
Egger lebt sein Leben weiter, ohne nach dem Warum zu fragen.  Er geht in den Krieg, kommt in Gefangenschaft. Und als er Anfang der 50er Jahre in sein Tal zurückkommt, hat sich die Welt verändert. Skitouristen reisen in Scharen in das stille Tal, lassen sich von dem neuen Lift in die Höhe tragen, bevölkern die Hänge. Egger  entdeckt, daß er Geld damit verdienen kann, erlebnishungrige Städter in seine Berge zu führen.
Während er sein Leben immer im Jetzt, im Augenblick lebt, keine Bedürfnisse hat und keine Wünsche, staunt er mehr und mehr über die Veränderung um sich herum. So wird z.B. der alte prügelnde Dorfschullehrer  ersetzt durch einen jungen mit schulterlangem Haar, das er zum Zopf geflochten trägt und der Pullover strickt.
Mit solchen scheinbaren Randbemerkungen, mit denen er höchst sparsam umgeht, schafft Seethaler mehr Bilder im Leser als durch seitenlange Beschreibungen.
Am Ende sind wir nicht traurig, daß Eggers kleines großes  Leben  ohne Happy End zuende gegangen ist.  Wir sind beglückt, daß uns Seethaler mit seiner Poesie eine Geschichte erzählt hat, die wir nicht vergessen. Denn in ihr wiegt jedes Wort. Und auch die Leerstellen wiegen.



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