Unter Büchern

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Donnerstag, 5. März 2015

Catalin Dorian Florescu: Der blinde Masseur


Ein Audi mit Schweizer Kennzeichen fährt durch Rumänien. Am Steuer sitzt Teodor. Im feinen Zwirn. Teodor ist vor zwanzig Jahren mit seinen Eltern aus dem Hochsicherheitstrakt Rumänien geflohen. Er lebt  in der Schweiz, wo er Sicherheitsanlagen (!) verkauft. Seine erste Liebe, Valeria, mußte er damals verlassen, ohne ihr sagen zu dürfen, daß er sie am nächsten Tag und auch am übernächsten nicht mehr treffen  wird.

Valeria hat er nie vergessen – und deshalb macht er sich jetzt auf die Suche nach ihr.

„Wer Richtung Osten fährt, ist Rumäne oder hat mit Rumänien zu tun.“
Ein  grandioser Einstieg in einen grandiosen Roman ist das: Florescu läßt sein Alter ego, Teodor, in einer Karawane voller Audis, Ladas, „Mercedessen“ auf der Landstraße Richtung Osten reisen. Und schon ist man mitten im Balkan. Die  Straße ist schlecht. „Auf Rumäniens Straßen wuchsen Löcher nach, kaum hatte man welche zugepflastert.“ Von fern bellen Hunde. „Links steht der Mais noch unreif, rechts ist Kartoffelacker“. Der Pope, den Teodor ein Stück mitnimmt, muß zu einer letzten Ölung und nimmt gleich seine ganze Familie mit. Und die Rumänin, die mit ihrer Tochter unbedingt mitgenommen werden will, preist  diese Teodor in den höchsten Tönen an. Aber Teodor weiß: „ Weil man hier nicht nur die Armut der Töchter,  sondern auch die der Eltern heiratet, würden wir jährlich zurückkehren mit Geschenken für alle.“
Alle, die Teodor in seinem Audi mitnimmt, stehen für ein Stück dieses Rumänien, das da am Rand der Welt liegt.
Und schon hat uns der Autor am Haken. Der lustvoll fabulierende Florescu läßt in einem elenden Nest seinen Helden stranden, wo er bald die Bekanntschaft des blinden Masseurs Ion macht. Ion läßt das ganze Dorf Bücher auf Kassetten sprechen, er kann ja selber nicht lesen. Seine Bibliothek ist  groß,  er quält damit subversiv  – so läßt er den Direktor Popescu, den er nicht leiden kann, Kant und Heidegger lesen. Abends treffen sich bei Ion seine Freunde Marius, Dan und Cosmin. Und Teodor gehört schnell  dazu. Sie sitzen nächtelang zusammen, trinken Unmengen von Schnaps, essen  Zwiebeln dazu. Teodor freundet sich mit  dem klugen Masseur an, er verfällt ihm mehr und mehr  - und merkt nicht, daß Ion und seine Freunde  ein ganz hinterlistiges Spiel mit ihm spielen. Mehr verrate ich nicht.
Ich war von diesem beinah orientalisch fabulierenden Erzähler Florescu  hingerissen. Seine Sprache ist  poetisch,  aber er bricht sie kunstvoll immer wieder mit derben Wörtern, die ganz unvermittelt daherkommen – und damit eine große Spannung erzeugen.
Teodor sagt einmal von sich, er habe  ein Bauer werden wollen „mit tausend Geschichten im Sack“. Diesen Sack hat Florescu ihm abgeschwatzt. Was für ein Glück.
(Seine anderen Bücher sind nämlich genauso großartig. Ich habe sie alle gelesen.)





3 Kommentare:

  1. Liebe Cornelia,
    diese Buch ist eine Entdeckung, ich danke dir für diesen wunderbaren Tipp!

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  2. Liebe Cornelia, was Du über Florescus Roman schreibst, treibt mich trotz Regen zu meiner Buchhändlerin. Ich bin sehr gespannt. Wenn DU was empfiehlst, dann kann es nur GUT sein.

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  3. Danke für Eure Rückmeldungen - Florescu ist wirklich eine Entdeckung wert - und wenn man ein Buch von ihm gelesen hat (so ging es mir zumindest), möchte man auch gleich die anderen kennenlernen.

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