Unter Büchern

Unter Büchern

Donnerstag, 26. März 2015

Alain Claude Sulzer: Aus den Fugen


Ich bin hingerissen von diesem schmalen Roman. Er hat solch ein inneres Gewicht, daß ich noch tagelang über die Lektüre nachdachte. Und was gibt es Schöneres, als daß einen ein Roman über die letzte Seite hinaus noch beschäftigt?
Alle machen sich auf in das Konzert des weltberühmten Pianisten Marek Olsberg: die trinksüchtige Sophie mit ihrer ungezogenen Patentochter Klara;  der schwule Claudius, der schon in die Jahre gekommen ist, und sein junger knackiger Freund Nico; die gut verheiratete Esther und ihre sitzengelassene Freundin Solveig. Solveig knabbert an ihrem Verlassensein, Esther weiß von den Eskapaden ihres Mannes noch nichts...

In einzelnen kleinen Kapiteln werden die Figuren vorgestellt, wird ihr derzeitiges Leben kurz angerissen. Und überall kriselt es. Alle befinden sich in irgendeinem Gefängnis.
Als Olsberg völlig unerwartet mitten im 4. Satz der Hammerklaviersonate von Beethoven den Deckel des Flügels zuklappt und „das wars dann“ sagt und von der Bühne verschwindet, stehen alle ratlos da. Der angebrochene Abend ist zwar verdorben, aber er ist auch eine Einladung: Was jetzt? Es öffnen sich die Gefängnistüren! Alles gerät aus den Fugen. Die trinksüchtige Sophie hat wider Erwarten ein offenes  und klärendes Gespräch mit ihrer Nichte Klara, die plötzlich gar nicht mehr so zickig ist; Esther kommt zu früh in ihr edles Puppenheim zurück und findet es leer;  Nico, der scheinbar unbedarfte knackige Lover, trennt sich von  Claudius.
„Aus den Fugen“ ist ein wunderbar komponierter (!)  Roman, hintergründig wie vordergründig zu lesen. Die Sprache ist klar und schnörkellos präzise.
Und nicht nur das. Als Könner seines Genres hat der Autor für den, der noch mehr wissen möchte, sein Wissen um die Fuge als Skelett dieses großartigen Romans genutzt. (Übrigens habe ich das in das keiner einzigen Rezensenion gelesen, dabei finde ich gerade das so raffiniert!)
„Fuge“ bedeutet nämlich: Flucht.
Die erste Stimme gibt das Thema an. Die erste Stimme im Roman ist das Portrait des Pianisten... Die folgenden Stimmen greifen das Thema auf...
Und daß Olsberg ausgerechnet im 4. Satz der Hammerklaviersonate den Flügeldeckel zuklappt – auch das hat eine  Bedeutung: der 4. Satz dieser Sonate ist eine – Fuge!
Man kann das Buch toll finden, ohne das alles zu wissen.
Man kann aber auch –wie ich – recherchieren und feststellen: Donnerwetter, da hat ein gebildeter  Mensch einen gebildeten Roman geschrieben. Und der ist so klug, daß ihn nicht nur Eingeweihte im Elfenbeinturm verstehen!
                                            

                                                                                             

2 Kommentare:

  1. So ist es, liebe Cornelia: ein fein komponiertes und spannendes Buch. Ich las es in wenigen Stunden, und selbst mein Mann, der andere Lektüre bevorzugt, genoss diesen Ausflug in viele andere Welten.

    AntwortenLöschen
  2. Es freut mich sehr, daß Dir - und Deinem Mann! - der Sulzer gefallen hat. Auch die anderen Bücher von ihm sind übrigens sehr schön zu lesen, ähnlich dicht und leicht zugleich.

    AntwortenLöschen